Geistreiches aus der Presse G L O S S E
Claudias Airbag Vergangenheitsbewältigung ohne Unfallgefahr
Von Jens Jessen
Der Weg zu dem Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas war bekanntlich lang und nicht frei von Verirrungen. Der erste offene
Wettbewerb zeitigte ein wahres Schreckenskabinett des Kitsches und der Schauerromantik. Aber selbst der zweite, nur noch von namhaften Beiträgern bestrittene Wettbewerb provozierte allerlei Merkwürdigkeiten. Der
bizarrste Entwurf zeigte einen Eisenbahnwaggon auf schiefer Ebene (wahrscheinlich des Verhängnisses), der in regelmäßigen Abständen unfallträchtig auf eine Mauer (wahrscheinlich des Todes) zufahren sollte. Aha,
kommentierte damals ein befremdeter Besucher, der Waggon knallt also auf die Mauer, und dann steigt Claudia Schiffer aus und preist den Airbag. Die Verbindung zwischen Mannequin und Mahnmal war damals noch rein
assoziativ und inspiriert von einer Fernsehwerbung, in der Claudia Schiffer dank eines Airbags unbeschadet dem Citroën entstieg, den sie gerade vor die Wand gesetzt hatte. Heute hat sich, was der Schöpfer des galligen
Bonmots nicht ahnen konnte, die Verbindung gespenstisch konkretisiert. Claudia Schiffer macht wieder Werbung im Fernsehen, aber diesmal wirbt sie um Spenden für das Mahnmal. Es ist allerdings eine diskrete Werbung, denn
das Model ist nicht zu sehen, sondern nur zu hören. Gleichwohl bleibt der Gedanke an den Airbag lebendig; er hat sogar an Unbehaglichkeit gewonnen. (...). Uns schaudert zwar noch immer beim Denken an
Hitler; aber unsere Claudia, unsere Spenden und unser Mahnmal schützen uns heute zuverlässig vor dem moralischen Schock Aus: Die Zeit, 46/2002. (Zum vollständigen Text) *** „Jetzt wäre es Zeit für eine Debatte, ob nicht das
Mahnmal-Projekt von gestern ist“ Am 9. September 2001 wurde das Jüdische Museum von Architekt Daniel Libeskind in Berlin
feierlich eröffnet. Dieses Ereignis regt zur Diskussion an, ob das geplante Holocaust-Mahnmal noch zeitgemäß ist. Dazu Michael Mertes im Rheinischen Merkur vom 7. September 01 auf der Titelseite: „ Das Holocaust-Mahnmal verbreitet den überlebten Geist der Hoffnungslosigkeit. Der Libeskind-Bau dagegen sensibilisiert für
Chancen der Zukunft. ...Das Berliner Museum
rückt jetzt die deutsch-jüdische Geschichte vor 1933 ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Für Juden osteuropäischer Herkunft – sie bilden die überwältigende Mehrheit der Juden in Deutschland – ist diese ältere
Vergangenheit zwar kein Teil der eigenen Familiengeschichte. Aber sie könnten darin Möglichkeiten deutsch-jüdischer Existenz entdecken, die als Modelle für die Zukunft taugen. Schon heute zeichnet sich ab, dass die
jüdische Gemeinschaft in Deutschland ebenso pluralistisch wird wie die christliche (und zunehmend entchristlichte) Mehrheit. Da gibt es einerseits religiöse Juden verschiedener Observanz und andererseits „deutsche
Staatsbürger jüdischen Unglaubens“ (um ein ironisches Wort Sigmund Freuds aufzugreifen). Es gibt jene, die ein intensives jüdisches Familienleben pflegen, und jene, die mit ihrem Ehepartner und den gemeinsamen Kindern
jüdisch-christliche Ökumene praktizieren. Manche identifizieren sich ohne Einschränkung mit der deutschen Kultur, manche wiederum hegen bewusst ihre russischen oder israelischen Wurzeln. Zu alledem passt der
Museumsbau von Daniel Libeskind. Seine bizarren Formen erinnern nicht nur an die Brüche deutsch-jüdischer Geschichte, an enttäuschte Hoffnungen und an die klaffenden Leerstellen, die der nationalsozialistische
Nihilismus hinterlassen hat. Sie symbolisieren auch die Vergeblichkeit jeden Versuchs, eine „Symbiose“ herbeizuzwingen, die es so nie gegeben hat. Die dialektische Pointe dieser Erkenntnis bestünde darin, die Vielfalt
deutsch-jüdischer Lebensentwürfe nicht als Manko aufzufassen, sondern als zweite Chance. Damit könnte der Libeskind –Bau dem geplanten Holocaust-Mahnmal ernsthafte Konkurrenz machen. In seiner ganzen
Komplexität, in seiner Offenheit gegenüber dem Plural von Vergangenheit und Zukunft ist er der betonierten Eindeutigkeit des Eisenman-Entwurfs allemal überlegen. Die Regierung Schröder hat richtig gehandelt, als sie
das Jüdische Museum Berlin in die Obhut des Bundes übernahm. Jetzt wäre es Zeit für eine Debatte darüber, ob nicht das Mahnmal-Projekt von gestern ist, weil es den Betrachter in völliger Hoffnungslosigkeit zurücklässt.
Es ist keine Schande zuzugeben, daß man klüger geworden ist. Der Kanzler wollte einen Gedenkort, „zu dem man gerne geht“. Libeskind hat ihn geschaffen. ....“ Zrück zum Inhaltsverzeichnis |